Räumliche und zeitliche Arrangements
Die Vorlesesituation ist ferner durch ein spezifisches Setting gekennzeichnet. Hund
und Kind sollen nicht irgendwie, sondern in geordneter Weise aufeinandertreffen.
Zunächst müssen auf Seiten der Schule Raum und Zeit zur Verfügung gestellt
werden. Für die Länge einer Schulstunde (teilweise auch für bis zu 90 Minuten)
muss ein geeigneter Raum gefunden werden. Wichtig ist zunächst, dass ein Raum
eigens für die Lesestunde ausgewiesen und auch durch ein Schild gekennzeichnet
wird (Grobholz 2011: 18f.). Bei Schüßler (2015: 10ff.) wird ein für solche Zwecke
eingerichteter Raum vorgestellt, der in verschiedene Arbeits- und Ruhezonen eingeteilt ist. Es gibt dort Tische mit Stühlen, Regale mit Büchern, Kuscheltiere, Poster,
Vorhänge, verschiedene Lampen sowie Decken und einen Korb für den Hund. Auch
die Interviewpartner berichten von Räumen außerhalb des Klassenzimmers, etwa
einem sogenannten „Lese-Medienraum“ (Interview 1). Mit dieser räumlichen und
zeitlichen Separierung vom Klassenzimmer wird die Lesestunde mit den Hunden
als besondere, außeralltägliche Veranstaltung aus dem Schulalltag herausgehoben.
Wände und Schilder halten die schulische Bewertung durch den Lehrer, das Urteil
anderer Schüler und jegliche Störung fern. Stattdessen kann sich das Geschehen auf
die vorlesende Begegnung von Kind und Hund fokussieren. Mit der Offenheit des
Arrangements wird ferner der zwanglose und offene Charakter dieser Veranstaltung
nicht nur symbolisch markiert, sondern auch umgesetzt. Ob die Schüler nun am
Tisch sitzen oder sich zum Hund auf den Boden setzen, bleibt ihnen überlassen. Die
Kinder wählen die ihnen genehme Distanz zum Hund. Typischerweise halten die
Kinder in der einen Hand ein selbst ausgewähltes Buch und können dann – wenn
sie dies möchten – mit der anderen Hand den Hund streicheln.
Die Gegenstände in den Räumen dienen auch als Requisiten eines Bühnenbildes
im Sinne Goffmans (2002: 23ff.). Sie stellen dar, was die Situationsteilnehmer erwartet
und damit, was von ihnen erwartet wird. Wichtig ist etwa, dass „keine typische
schulische Atmosphäre herrsch[t]“ (Schüßler 2015: 12) und die Situation durch das
Arrangement der Gegenstände als nicht zum eigentlichen Unterricht zugehörig
markiert wird. Außerdem werden mit Stühlen, Körben und Decken Positionen im
Raum vorgegeben oder zumindest vorgeschlagen. So wird beispielsweise empfohlen,
eine Decke dort auf den Boden des Klassenzimmers zu legen, wo der Hund Platz
nehmen soll (Grobholz 2011: 12). Die Hunde sollen dabei typischerweise auf diesem
Wohlwollende Zuhörer
131
Platz liegen bleiben, während sich die Kinder vor oder neben sie auf den Boden
setzen und vorlesen. Die Decke markiert deutlich einen dem Hund zugewiesenen
Bereich und hebt als „Klammer“ (Goffman 1980) die Vorlesesituation aus dem
sonstigen Unterrichtsgeschehen hervor. Laut den Lesehundbefürwortern erleichtert dies nicht nur den Schülern, die Rahmung der Situation zu erkennen, sondern
auch den Hunden. So lässt beispielsweise ein Ratgeber den Lesehund Tammy durch
die Autorin hindurch sprechen: „Wichtig ist, dass es immer die gleiche Decke ist,
weil diese Decke bedeutet LESEHUNDDIENST für uns. Sie wird nur für unsere
Lesehund-Aktivitäten benützt.“ (Grobholz 2011: 12).
3.3
Verhaltensregulierungen
Die Domestikation des Hundes als Lesehund erfolgt nicht nur über die Auswahl des
Tieres und ein spezifisches Arrangement, sondern auch über Verhaltensregeln, die
alle menschlichen und nicht-menschlichen Beteiligten befolgen sollen. Auf Seiten
des Hundes finden sich etwa Regeln, die dafür Sorge tragen sollen, dass der Hund
nicht unbeaufsichtigt mit den Kindern in Kontakt tritt. So müssen nach Grobholz
(2011: 26) Lesehunde auf dem Schulgelände stets an kurzer Leine geführt werden
und immer von einem Lesehundführer beaufsichtigt werden. Bestimmte Verhaltensweisen sind gänzlich verboten und führen zu schweren Sanktionen:
Sollte ein Lesehund einen anderen Hund oder einen Mensch anspringen, anbellen,
anknurren, Zähne fletschen, nach ihm schnappen, gar beissen [sic], darf er absolut
nicht mehr am Lesehund-Dienst teilnehmen! (Grobholz 2011: 26)
Außerdem wird verlangt, dass die Hunde über „Grundgehorsamkeit“ verfügen,
d. h. die gängigen Kommandos (Sitz, Platz etc.) kennen sowie „gute Manieren“
(Grobholz 2011: 10) an den Tag legen, also beispielsweise niemanden anspringen.
Ferner müssen die Hunde zunächst einmal an die neue Umgebung und die dort
geltenden Regeln herangeführt werden. Ein Interviewpartner hat seinen Hund
bereits vier Monate spielerisch an die Schule herangeführt:
Der ist aber noch sehr jung, der muss auch viel schlafen und ähm er muss
jetzt lernen, hie- hier dabei zu sein, zu erkennen, welche Regeln gelten hier in
der Klasse. Ist ja, vieles ist ähnlich wie zu Hause. Er darf zu Hause nicht aufs
Sofa, er darf hier nicht aufs Sofa, ähm er darf aber auch nicht in alle Ranzen
reinspringen.
(Interview 2)
132
Tobias Röhl
Und schließlich finden sich auch Regeln, die vor allem darauf abzielen, Stress beim
Vierbeiner gering zu halten. So wird beispielsweise in der Literatur empfohlen,
die Hunde nicht öfter als zwei bis dreimal die Woche in die Schulen zu schicken
und mit Lesesitzungen von höchstens rund einer Stunde pro Tag zu konfrontieren
(Beetz/Heyer 2014: 88). Ferner sollen die Hundeführer grundlegende Kenntnisse
über das Verhalten von Hunden, über rechtliche Fragen usw. kennen.
Auch die Regeln für die Kinder zielen in erster Linie darauf ab, Stress beim Hund
zu reduzieren und damit das Risiko für Beißvorfälle und andere Zwischenfälle zu
minimieren. Über alle Interviews und die Ratgeberliteratur hinweg finden sich
viele einander ähnelnde Regeln für die Kinder. So wird beispielsweise auf Folgendes hingewiesen: „nur eine Hand streichelt einen Hund […] oder man schaut dem
Hund nicht direkt in die Augen, das könnte ihn aggressiv machen“ (Interview 1)
sowie dass Ruhezonen anerkannt werden müssen (Beetz/Heyer 2014: 89). Dementsprechend wird, bevor der Hund überhaupt in eine Klasse kommt, eine „kleine
Ausbildung“ (Interview 1) durchgeführt, bei der die Kinder diese Verhaltensregeln
durch die Lehrperson vermittelt bekommen. Neben der vorbereitenden Erziehung
des Hundes im Umgang mit Kindern geht es also auch um eine vorbereitende
Erziehung der Kinder im Umgang mit Hunden. Mit all diesen Regeln erscheint
der Hund als potenziell gefährliches Tier, das nur in einem kontrollierten Rahmen
auf schützenswerte Kinder treffen darf. Die Vermeidung von Stress und die Erzeugung von Ruhe stehen im Vordergrund. Abermals gilt, dass nur ein ruhiger Hund
ungefährlich ist und gleichzeitig dazu beiträgt, dass sich die Kinder entspannen.
3.4
Übersetzen und Fürsprechen
Eine besondere Rolle bei der pädagogischen Domestikation der Hunde und Kinder spielen die Hundeführer. Zunächst sind sie es, die die Hunde auswählen und
auf die Einhaltung von Verhaltensregeln achten. Zugleich fungieren sie sowohl
als Übersetzer als auch als Fürsprecher der Hunde. Sie übersetzen das hündische
Verhalten (ihre „Sprache“) für die Kinder in die menschliche Sprache und bieten
Interpretationshilfen an. So berichtet etwa eine Hundeführerin in einem Interview:
B: Ich bin Max seine Sprache. Und oder auch, wenn jetzt Max so daliegt, ja?
((deutet auf Max))
I: Hmh. ((lächelt und sieht zu Max hinüber))
B: Und äh ((lächelt)), dann sag ich „Wow, guck mal!“, ne? „Du hast dem Max
sein Lieblingsbuch rausgesucht.“, ja?
I: Ja.
Wohlwollende Zuhörer
133
B: Und „Schau mal, wie relaxt und wie der das genießen kann.“ und äh wir
sitzen dann auch immer ganz eng mit Max zusammen, also Max wird
dabei gestreichelt.
(Interview 1)
Schon die einfache Anwesenheit (das „Daliegen“) gilt hier als Ausweis des Zuhörens. Die Hundeführer setzen damit praktisch Watzlawicks Diktum von der
Unmöglichkeit der Nicht-Kommunikation für die Hunde um. Ein „Daliegen“ ist
durch die Übersetzung der Hundeführerin für die Kinder als ein wohlwollender
und affirmativer Akt zu verstehen, bei dem der Hund seinen Genuss durch Ruhe
ausdrückt. Insofern bietet sich das Vorlesen als Praxis der Kommunikation über
Speziesgrenzen hinweg an. Vorlesen ist eine asymmetrische Praxis, bei der eine
Partei aktiv eine kulturelle Technik umsetzt und sich als Überbringer einer mit
Sinn versehenen Botschaft geriert; von der empfangenden Partei wird nur verlangt,
dass sie bei Bewusstsein ist und sich nicht übermäßig auf Anderes fokussiert.
Dementsprechend kann ein Übermaß an Aktivität (Sprechen, Bewegung im Raum
etc.) sogar als Unaufmerksamkeit und Verweigerung des Zuhörens verstanden
werden. Damit sind die ruhig liegenbleibenden und nicht sprechenden Hunde die
idealen Zuhörer.
Umgekehrt geben die Hundeführer auch den Kindern Anweisungen, wie sie
den Hund loben und streicheln können, und erläutern, wie der Hund ihr Verhalten versteht: „Das findet Max jetzt total interessant!“ (Interview 1). Dadurch
bekommen die Kinder über den Hundeführer nicht nur mitgeteilt, wie der Hund
zu verstehen ist, sondern wie er sie versteht – kommunikative Reziprozität wird
über den Umweg einer vermittelnden Figur hergestellt. Die Hundeführer arbeiten
als Vermittler zwischen der Hunde- und Menschenwelt an der Interspezies-Kommunikation und stellen Anschlussfähigkeit her bzw. sichern diese ab. Erratisches
oder zunächst nicht als Kommunikation gedeutetes Verhalten wird in deutbare
kommunikative Akte überführt.
Eine besondere Form der Übersetzung findet sich im Fürsprechen. Fürsprecher
sind die Ehrenamtlichen dabei in einem doppelten Sinne. Zum einen sprechen sie
für die Hunde im engeren Sinne. Wie andere Hundehalter auch leihen sie ihnen
ihre Stimme und sprechen – teils mit verstellter Stimme – aus Sicht des Hundes
(„giving voice“, Jackson 2012: 259; siehe auch Arluke/Sanders 1996: 68ff.). So erzählen
auch die Interviewpartner Erlebnisse mit den Lesehunden in den Interviews oft
in Form von „Nachspielungen“ (Goffman 1980: 539ff.) und nutzen dabei die erste
Person Singular, um für den Hund zu sprechen: „Hey, kuschel mit mir!“; „Hey,
ich versteh dich.“; „Heute bin ich eigentlich kaputt.“ In einem weiteren Sinne sind
die Ehrenamtlichen Fürsprecher, da sie darauf achten, dass ihre Hunde keinem
134
Tobias Röhl
übermäßigen Stress ausgesetzt sind. Sie sind dann gewissermaßen Übersetzer des
hündischen Verhaltens in eigener Sache und treten als Beschützer ihrer tierischen
Schützlinge auf, wie auch folgender Interviewausschnitt zeigt:
Also ähm das ist ganz ganz wichtig, dass ähm man wirklich auch seinen Hund
beobachtet und schaut, hey, was braucht er, ja? Also das ist für mich natürlich
das oberste Gesetz. Also Max steht an erster Stelle, ja? Und wenn er jetzt mir
zeigt „Hey“, ja? „Heute bin ich eigentlich kaputt“, dann- also das war jetzt das
erste Mal, dass wir das ausfallen lassen, aber sowas ist eben auch wichtig, dass
der Hund, ja? Ich mein das ist jetzt nicht ein Gegenstand, den man äh jetzt so
in die Schule schleppen kann, ne?
(Interview 1)
Der Hund erscheint hier eben nicht allein als pädagogisches Lehrmittel (als „Gegenstand“), sondern als Lebewesen mit Bedürfnissen, die sich an bestimmten Verhaltensweisen zeigen, die von den Hundeführern gedeutet werden. Hundetrainer
helfen den Lesehundeführern dabei, solche „Stress- oder Beschwichtigungssignale“
(Interview 2) zu erkennen (siehe hierzu auch Beetz/Heyer 2014: 90ff.). Hierzu zählen
beispielsweise „über den Fang lecken“ und „weg gucken“ (Interview 2). Gleichzeitig
steht übermäßiger Stress auch für eine potenzielle Gefährdung der Kinder, da man
davon ausgeht, dass die Hunde bei Überforderung aggressiv reagieren könnten.
Aufgabe der Hundeführer ist es deshalb auch, die Kinder auf solche Stresssignale
hinzuweisen: „Das gefällt Max jetzt gar nicht!“ (Interview 1).
Sowohl mit dem Übersetzen als auch mit dem Leihen einer Stimme verleihen
die Hundeführer den Hunden vor den und für die Kinder den Status eines sozialen
Akteurs. Neben dem Blickkontakt zwischen Menschen und Hunden liegt in dieser
Versprachlichung ein Moment beobachtbarer Intersubjektivität zwischen sprachbegabten und nicht-sprachbegabten Wesen begründet (siehe hierzu Sanders 2003:
416). Damit adressieren die Ehrenamtlichen die Hunde vor den Kindern ostentativ
als soziale Akteure, die (1) mit einer eigenen Gefühlswelt, eigenen Wüschen und
Bedürfnissen sowie (2) mit ihrem Verhalten sinnhaften Bezug auf das Handeln der
Kindern nehmen und damit selbst zu Handelnden im klassischen Sinne werden.
Mit ihren Übersetzungen sichern die Hundeführer also die Deutung der Hunde
als soziale Akteure ab. Insbesondere dann, wenn wir es mit Wesen zu tun haben,
deren Status als sozialer Akteur in den Augen der menschlichen Akteure fragil ist,
braucht es institutionell abgesicherte Erklärungen, die deren Besonderheit (etwa
das Fehlen menschlicher Sprache) erklärt. In animistischen Gesellschaften sind
dies beispielsweise Schamanen, die in der Lage sind, mit Pflanzen und Tieren zu
kommunizieren und den anderen Gesellschaftsmitgliedern mitzuteilen, was diese
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